Konstantin Wecker / Wut und Zärtlichkeit
Wut und Zärtlichkeit Spielzeit: 63:03
Medium: CD
Label: Sturm & Klang, 2011
Stil: Liedermacher

Review vom 24.10.2011


Steve Braun
»Das wusste schon der alte Brecht, die Welt ist wirklich nicht gerecht!« Kein anderer Künstler hat mich in den Siebzigern derart in meinem Innersten berührt, wie Konstantin Wecker. Und ich musste schmunzeln, wie sich doch der Kreis schließt. Damals bediente Wecker die unglaubliche Wut und die grenzenlose Zärtlichkeit in mir - und wie heißt sein neues Album? "Wut und Zärtlichkeit". Ich habe das Gefühl, heimzukommen: »Genug ist...« mir noch immer »...nicht genug« - »Schweigen« auch heute noch »Betrug«.
Damals traf ein zorniger junger Mann auf den Barden aus München, ging ein Stück des Weges mit ihm, um später seine eigenen Pfade zu finden. Weckers unbändige Lust am Leben, allen Widrigkeiten zum Trotz, war ebenso inspirierend, wie seine Sehnsucht nach der Utopie. Sehn-sucht... Die 'Suche', die in diesem Wort etymologisch eingebaut ist, führte Wecker unweigerlich in die 'Sucht'. Auch in seiner Verletzlichkeit war und ist dieser Mann stark - durch seinen Umgang mit dieser Niederlage, konnte er diese in einen persönlichen Sieg verwandeln. "Die Kunst des Scheiterns" und die "Tausend unmöglichen Wege, das Glück zu finden" beschreibt der Poet in einem sehr lesenswerten Buch von 2007. Und er sucht noch immer... wohl bis ans Ende seiner Tage - derzeit taucht er in die Mystik des Buddhismus ein.
»Umso älter ich werde, desto zurückhaltender verhalten sich die Musen«, kommentiert Konstantin Wecker in seiner ureigenen, bescheidenen Weise "Wut und Zärtlichkeit", sein erstes Album nach sechs Jahren. Das mag einerseits daran liegen, dass er in seinem langjährigen Schaffen bereits viele Themen 'abgearbeitet' hat. Andererseits scheint Wecker sich seit seiner großen persönlichen Niederlage, die in einer Haftstrafe zur Bewährung für den damals Kokainsüchtigen gipfelte, verschiedensten Wegen zu sich selbst gewidmet zu haben. Da kann es sein, dass die 'Fäden' sich nicht so einfach zu einem kompletten neuen Album verknüpfen lassen. In der Nachbetrachtung gibt Wecker zu, dies sechs Jahre lang sehr vermisst zu haben.
Geradezu revolutionär ist für ihn, innerhalb von nur einem Monat alle vierzehn Lieder geschrieben zu haben. Er zog sich quasi mit 'Nichts' in sein Haus in der Toskana zurück und kam mit fertigen Liedern zurück. Wohl auch deshalb scheinen alle auf eine stille Weise miteinander verbunden zu sein, obwohl sie teilweise musikalisch sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Der Titel ist die Klammer: Alle Lieder haben sowohl mit Wut wie auch mit Zärtlichkeit zu tun - beide Begriffe gehören für ihn wie siamesische Zwillinge zusammen. Konkret geht es um Weckers Bedürfnis, sich einerseits »als Liebender weiterzuentwickeln« und andererseits seiner unglaublichen Wut über die derzeitigen politischen Verhältnisse Ausdruck zu verleihen.
Textlich wird Konstantin Wecker auch weiterhin von seinen »Großmeistern« Rilke, Kästner, Brecht und Goethe inspiriert. Besonders schön verschmitzt schielt Bertold Brecht in "Es gibt nichts Gutes" um die Ecke:
»Armer Mann trifft reichen Mann
Beide seh'n sich lange an.
Plötzlich sagt der Arme bleich:
Wär' ich nicht arm, wärst Du nicht reich.«

Entgegen aller Vermutungen, die nach dem Lesen dieser trefflichen Zeilen aufkeimen könnten, hält sich Wecker mit dem Zeigefinger zurück. Er ist grundsätzlich gegen jede Form von Missionierung. Einen 'Alleinwahrheitsanspruch' hat der bekennende Anarchist zu keinem Zeitpunkt für sich reklamiert.
Da fügt er lieber kabarettistische Elemente ein, wenn er die Brüste unserer Kanzlerin umschwärmt oder einen Virus den Wahnsinn der Frankfurter Bänker für immer und ewig ausrotten lässt. Köstlich auch, wie er die Hautevolée der Lächerlichkeit preisgibt. Richtig unter der Haut krabbelt es dagegen, wenn sich der Dichter in zwei stillen Liedern mit dem Sterben beschäftigt.
Die Musik dient mal wieder ausschließlich den Texten - Wecker hat stets seine Texte vertont und nicht seine Lieder betextet. Hier hat er sich diesmal vielfältigster Einflüsse bedient. Man kann Reggae ("Weil ich dich liebe") ebenso wie die minimalistischen Anklänge an die NDW ("Es gibt nichts Gutes") vernehmen - "Weltenbrand" integriert indianische Gesänge und ein ums andere Mal wird der Klassik gefrönt. Richtig gigantisch wird es, wenn das unglaublich komplex und virtuos arrangierte "Empört euch" sich in den musikalischen Olymp des Hardrocks aufschwingt - hier meint man glatt, das
Trans-Siberian Orchestra sei am Werk.
Mit "Wut und Zärtlichkeit" scheint sich aber auch ein weiterer musikalischer Kreis zu schließen: Der Titelsong und "Absurdistan" lassen eine Rückbesinnung auf die Band-Arrangements der Siebziger ("Ich liebe diese Hure", "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" u. ä.) vermuten.
Ach Konstantin, wie gut, dass Du Dir immer treu geblieben bist! Wie gut, dass es immer noch Menschen gibt, denen der Anblick des morgendlichen Spiegelbildes kein Ekelgefühl bereiten muss. »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es« und »Es geht ums Tun und nicht ums Siegen!« Wie recht Du hast...
So bleibt als einziger Wermutstropfen, dass mir (mal wieder) nur eine Promo-Version ohne Texte und die beteiligten Musiker vorlag, was die Arbeit eines Rezensenten nun wirklich nicht erleichtert!
"Absurdistan":
»Hab keine Lust mehr, der Nörgler zu sein,
bin müde vom Kämpfen und Klagen,
werd' ab sofort gesellschaftskonform
und verzichte auf weitere Fragen.

Will auch dabei sein im Karussell
der Reichen und Klugen und Schönen,
und dann lass' ich mich von den Medien loben
und von meinem Konto verwöhnen.

Und ich glaube ab sofort an jede Statistik
und bin gegen Zweifel immun,
und wenn Umsätze steigen und Löhne sinken,
hat das nichts miteinander zu tun.

Ich gelobe, jetzt nicht mehr quer zu schießen
und ich glaube der BILD und der WELT,
und an Terrorexperten und Wirtschaftsanalysen
und vor allem: ans große Geld!

Und ich glaube, dass Nestlé die Menschen liebt,
die Vatikanbank leiten Christen.
Bänker sind voller Mitgefühl
und Heckler & Koch Pazifisten.

Ja ich glaube an Deutschland, an den deutschen Export,
an Hartz IV und an Wachstumswahn.
Heißt mich willkommen und nehmt mich auf
in eurem Absurdistan!
Heißt mich willkommen und nehmt mich auf
in eurem Absurdistan!

Und ich glaub' an den heiligen Sarrazin
und seine Eugenik-Visionen.
So kann sich ein Rückfall in dunkelste Zeiten
finanziell im jedem Fall lohnen.

Und ich glaube, dass wir in Afghanistan
zur Rettung der Frau angetreten,
und wie damals mit Gutti und Kerner und Papst
will für deutsche Siege ich beten.

Und ich glaube an alles was den Bildschirm füllt,
von Pro7 bis RTL zwo,
und ich bewerbe mich morgen bei DSDS
und wisch' mit den Quoten den Po.

Ja ich glaube an Deutschland, an den deutschen Export,
an Hartz IV und an Wachstumswahn.
Heißt mich willkommen und nehmt mich auf
in eurem Raffistan!
Heißt mich willkommen und nehmt mich auf
in eurem Absurdistan!

Und ich weiß, dass wir ohne Atomstrom verenden,
und ich find' es ab jetzt auch beschissen,
dass Konzerne, obwohl sie so viel für uns tun,
auch noch Steuern zahlen müssen.

Und ich glaub´ an die Automobilindustrie,
denn sie hat's nun wirklich geschafft
und hält jede Regierung unter ihr
verlässlich in Geiselhaft.

Und ich glaub' an Elite und an BWL
und vor allem an G 8.
Denn wir brauchen Kinder, die funktionieren.
Wer braucht schon ein Kind, das lacht?

Heißt mich willkommen und nehmt mich auf
in eurem Kannitverstan!
Heißt mich willkommen und nehmt mich auf
in eurem Absurdistan!«
Line-up:
Konstantin Wecker (Gesang, Klavier)
Alle weiteren Musiker sind unbekannt!
Tracklist
01:Wut und Zärtlichkeit
02:Absurdistan
03:Die Kanzlerin
04:Weil ich dich liebe
05:Schwanengesang
06:Es gibt nichts Gutes
07:Damen von der Kö
08:(Entzündet vom) Weltenbrand
09:Der Virus
10:Empört euch
11:Buona notte
12:Es geht zu Ende
13:SoScheeSchoA
14:Tropferl im Meer
Externe Links: